Tanzcafe Rommel


Darf ich bitten? Eine Zeitreise im Tanzcafé . Von Robin Szuttor.

 Wo wird jedes Wochenende bei Liveschlagern der gute alte Paartanz gepflegt? Wo hält man noch etwas auf Umgangsformen? Wo gibt es Stammgäste, die seit vierzig Jahren kommen? Im Tanzcafé Rommel in Schwaikheim! Die Kalorienbomben müssen nur noch angeschnitten werden.Es gibt Käsesahne,Quark-Maracujacreme-Torte, Pflaumen-und Himbeerkuchen.Daneben ist eineganze Armada weißer Porzellankaffeekännchen aufgebaut. Das Pforzheimer Musikduo Sascha und Natascha ha sich für den Auftritt hergerichtet,die Kellner stehen plaudernd an der Theke.Jörg Rommel, der Chef, streift durch den Saal, verteilt zwei Dutzend „Reserviert“-Kärtchen auf den Tischen. Es ist Sonntagnachmittag, kurz vor drei.Gleic hwird aufgemacht. Wenn es regnet,kommen dieLeute schon früh.„Bei schönem Wetter wie heute machen sie vorher einen Spaziergang“,sagt Rommel. Viertel nach drei sitzt die erste Frau im Saal, vor sich ein Glas Mineralwasser.Bald trudeln andere Gäste ein: Paare,Solofrauen,Frauenduos, Frauentrios, einige Solomänner. Eine Schwarzhaarige – Ende 40, Typ Vamp – in schwarzerLederhose,schwarzer durchsichtiger Bluse über dem schwarzen Top,nimmtan der BarPlatz und bestellt sich einen Himbeerkuchen.Ein Mann mi tSchnauzer–Mitte40, Typ einsamer Wolf–sitzt dreiHocker weiter und wagt ab und zu einen Seitenblick. Das Tanzcafé Rommel ist eines der letzten seiner Art.„Ein Dinosaurier“,sagt Jörg Rommel,der das Lokal vor 23 Jahren von seinem Vater übernommen hat. Hier werden noch flotte Sohlen aufs Parkett gelegt, Foxtrotts, Tangos und Walzer gespielt.Hier gibt es noch echte Kavaliere und Damen,die das zu schätzen wissen. Hier wird der Lemberger im klassischen Weinrömer serviert und ein Berg Schlagsahne zum Kuchen.Hier sind die Cromargan teekannen noch aus den Anfangsjahren.„Die Dinger gehen einfach nicht kaputt“, sagt der 49-jährige Rommel. 1947 schickte sein Vater Arthur, er saß damals in russischer Kriegsgefangenschaft, einen Antrag plus Planskizze an die Gemeinde Schwaikheim.Es ging um den Umbau seiner Bäckerei in ein Tanzcafé. Mit der Genehmigung dauerte es zwar bis er wieder zurückin der Heimat war,aber dann, 1950,ging es los. Von da an war an den Wochenenden dufte Stimmung im Café.Musikgruppen hießen damals noch Kapellen oder Combos,spielten Beat,Twist,Rock’n’Roll,Hits von Wanda Jackson und Peter Kraus. Die Frauen trugen Steghosen, Petticoats und hochtoupierte Haare, die Männer Brisk-Tollen, Koteletten und schwarz-weiße Slipper.Draußen parkten die Kreidler Floretts und Opel Kadetts. Man rauchte Overstolz ohne oder Supra mit Filter aus dem Fünferpäckchen, trank Eckes-Edelkirsch oder Kakaolikör mit Nuss an der Bar. Inzwischen wurde sechzehnmal angebaut,heute fasst das Lokal 600Gäste.Sonst hat sich nicht viel verändert.Die Seniorchefin Lieselotte Rommel sitzt mit ihren 85Jahren immer noch jeden Sonntag am Eingang und guckt,wer kommt.Die maßgefertigten Sofas in Altrosé aus den Sechzigern wurden neu gepolstert,das Design ist das alte geblieben. Die Tischlampen, die Servierwagen und die Vasen auf den breiten Fenstersimsen haben auch schon einige Jahre hinter sich.Die Seidenblumen arrangements könnten aus den Achtzigern stammen. Der Kölnisch-Wasser-Spender auf der Herrentoilette ist ein Relikt aus frühen Tagen.Zehn Pfennig kostete seinerzeit ein Erfrischungsspritzer. Der Apparat funktioniert noch,nur nimmt er keine Cents. Selbst das Publikum ist noch dasselbe. „70 Prozent sind Stammgäste,viele waren schon als junge Leute hier“, sagt Jörg Rommel und zeigt alte Postkarten: „Im Moment habe ich Gallensteine“, schreibt eine Elfriede, „aber sobald ich wieder auf dem Damm bin, komme ich. Herzliche Grüße.“ Oswald und Marianne haben sich vor 40 Jahren beim Tanz in Schwaikheim kennengelernt.Zur Silberhochzeit schickten sie eine Grußkarte. Einmal jährlich kommen sie ins Rommel,um wie früher zu schwofen. Der Saal füllt sich merklich. Das Durchschnittsalter dürfte bei Mitte 50 liegen: Frauen in Kostümen, einige weiße Dauerwellen, Rüschenblusen und Perlenketten, Pelzmäntel, Krokopumps, wadenhohe Stiefel zum Rock. Viele Männer tragen Kombination, Einstecktücher im Sakko,einerkommtmit Cowboyhut, einer mit massiger Goldkette unter dem aufgeknöpften Hemd,einer mit weißem Seidenschal und sandfarbenem Kaschmiranzug. Einer pfeift unmotiviert vor sich hin und blickt prüfend im Saal herum. Natascha betritt die Bühne,ein paar Männer drehen sich nach ihr um. „Ich begrüße Sie herzlich im Tanzcafé Rommel.“ Dann stellt Sascha sein Keyboard auf seidigen Sound, und mit Samtstimmen singt das Geschwisterpaar vom Herz, das ewige Liebe schwor. Kaum erklingt die Melodie,wirdschongetanzt.EinMannmitwenig Haar und kariertem Jackett verwandelt sich auf dem Parkett in Fred Astaire,zieht seine Partnerin binnen Sekunden schwungvoll quer über die ganze Tanzfläche. Eine Mutter, Mitte 60, tanztmit ihrer Tochter, Mitte 40. Eine rothaarige Frau ist aufgefordert worden. Er drückt sie fest an sich,sie hingegen biegt ihren Oberkörper von ihm weg. Um fünf Uhr ist der Saal voll.Vor dem Café parken Autos mit Stuttgarter ,Heilbronner und Göppinger Kennzeichen. Aus Platzmangel wird jetzt auch in den Gängen getanzt. Sascha und Natascha starten die Oldie-Runde mit einem Tango: „In deinen Armen zu träumen, ist so schön bei verliebter Musik“ – ein Klassiker vonGerhard Wendland von 1961, „Schöner fremder Mann, du bist lieb zu mir“–Connie Francis,1961,„Marina, Marina,Marina,dein Chic und dein Charme der gefällt“ – Will Brandes, 1959, „Ramona, zum Abschied sag ich dir goodbye“– Blue Diamonds, 1960. Das alles ist an gleicher Stelle schon vor Jahrzehnten gelaufen. Die rothaarige Frau tanzt jetzt Fox mit einem neuen Partner, ein ganz in Schwarz gekleideter Mann mit Pferdeschwanz.Daneben lässt Walter Riedel seine Tanzpartnerin elegant ein-und wieder ausdrehen. Der 70-jährige Stuttgarter ist ein Stammgast. 1966 kam er zum ersten Mal ins Rommel, „damals war Jörg noch ein kleiner Bub,sein Vater stand immer am Eingang, ohne Krawatte kam keiner rein.“ Sonst hat sich in seinen Augen eigentlich nicht viel verändert. „Früher waren mehr junge Leute da,und die Stimmung war ausgelassener,weil mehr Alkohol getrunken wurde.“Seit seiner Scheidung vor 15 Jahren ist Walter Riedel wieder fast jedes Wochenende in Schwaikheim,„sowas wie hier findet man ja sonst nirgends mehr.“ Katharina Planki, seine Lebensgefährtin, hat er am Ostermontag vor acht Jahren im Rommel kennengelernt. Er saß an seinem Stammplatz hinter der Bühne, sie saß an ihrem Stammplatz neben der Tanzfläche. Er ließ ein Glas Sekt an den Tisch bringen.Sie schaute rüber und lächelte. Er fragte: „Darf ich um den nächsten Tanz bitten?“–„Gern.“ „Es muss ein flottes Lied gewesen sein“,sagt sie,„darauf tanzt du ja am liebsten.“ Natascha singt jetzt mit viel Temperament: „Schick mir ne SMS, ich hab Dauerstress.“Die rothaarige Frau wird vom nächsten Tänzer–wie sich herausstellt ein äußerst quirrliger–aufs Parkett geführt. „Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass wir auch zum Tanz auffordern“, sagt eine Frau,Ende 50,die an der Bar sitzt und am Kirschsaft nippt. Aber das sei hier leider nicht üblich. Hier gilt noch die alte Regel–Herrenwahl.„Wenn eine Tanzrunde eröffnet wird, kommen manche fast schon angerannt,um Erster zu sein“,sagtsie.Auch an diesem Abend gebe es einen,der dauernd um sie herumschleiche.Er ist nicht ihr Typ, „um ehrlich zu sein,die meisten hier gefallen mir gar nicht.“ Sie lehne dann dankend ab und sage,dass sie diese Runde nicht tanzen wolle.In derRunde tanzt sie dann auch mit keinem anderen,„das gehört sich nicht“. Nach wenigen Takten merke sie, was Sache sei. „Wenn sie einen so eng an sich ziehen,weiß ich schon Bescheid,dann geh ich sofort auf Abstand.“Sie suche keine Männer im Rommel,sie wolle einfach etwas unter die Leute,Diskos seien noch nie ihr Fall gewesen, Besenwirtschaften oder Weinlokale auch nicht.„Hier ist was los, und man kann sich gut unterhalten.“Mit einem habe sie sich mal eingelassen.Was daraus wurde? Sie winkt ab: „Wie es heutzutage eben ist.“ Natascha singt: „Männer versteh’n nur was sie woll’n.“Er sehe es genau,wenn einer ständig im Saal herumkreise und eine Frau nach der anderen anbaggert,sagt Jörg Rommel.Wer penetrant wird,fliegt raus.„Solche Leute machen dir dein Lokal kaputt“,sagt der Chef.„Frauen sind mein Kapital,wenn keine Frauen mehr kommen, bleiben auch die Männer weg.“ Der55-jährige Betrüger, der neulich im Backnanger Amtsgericht saß, war wohl so ein Kandidat. Er hatte sich nicht nur 5000 Euro von einer solventen Dame erschlichen, sondern pflegte gleichzeitig zwei andere Beziehungen im Café Rommel.Alle drei nannte er liebevoll„Herzele“. Theo Linden ist seit 20 Jahren fast jedes Wochenende im Rommel,sein Stammplatz ist an der Bar. „Viele Frauen betonen, dass sie hier keinen Mann suchen, aber eigentlich suchen sie halt doch“,sagt der 67-Jährige.Er komme,weil er gerne tanze.„Aber nac hvier Stunden machen meine Füße nicht mehr mit, dann geh ich wieder nach Hause.“ Er habe in den letzten Jahren ganz selten eine Tanzpartnerin nähe kennengelernt.Die Gespräche blieben meist oberflächlich.„Viele schleppen halt ihre früheren Beziehungen mit sich rum und haben innerlich zugemacht.“ Gerade bahnt sich allerdings was an. Vor einigen Wochen hat er eine Frau im Tanzcafé gefunden,mit der er sich gut versteht.Jetzt kommen sich die beiden behutsam nahe.